Zen – oder die Kunst Tee (nicht) zu trinken

Handeln durch Vergessen

Wenn ich mich abends, so wie jetzt, noch einmal vor den Rechner setze um „noch etwas“ zu machen, dann bereite ich mir in letzter Zeit immer eine Tasse Tee zu. Obwohl ich dafür Teebeutel verwende, habe ich es über die Monate hinweg geschafft, durch immer weitere Verfeinerungen meiner Tee-Zeremonie die sechs Stufen der Erleuchtung zu erklimmen.

Die erste Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich nehme den Wasserkocher. Ich leere noch vorhandenes kaltes Wasser aus dem Wasserkocher. Ich fülle gerade so viel frisches Wasser hinein, wie für eine Tasse Tee nötig ist. Ich schalte den Wasserkocher an. Ich verlasse die Küche und setze mich für drei Minuten an den Computer. Ich kehre zurück in die Küche. Ich nehme eine Tasse und befülle sie zur zwei Drittel mit dem heißen Wasser aus dem Wasserkocher. Ich hänge einen Teebeutel in die Tasse. Ich verlasse die Küche und setze mich für 5 Minuten an den Computer. Ich kehre zurück in die Küche. Ich nehme den Teebeutel aus der Tasse. Ich fülle gerade so viel kaltes Wasser in die Tasse, dass der Tee auf Trinktemperatur abkühlt. Ich füge einen Löffel Zucker und einen Spritzer Milch hinzu. Ich kehre mit der Tasse Tee zurück an den Computer. Ich trinke einen kleinen Schluck Tee. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit dem Computer zu. Nach einer Stunde frage ich mich, was der kalte Tee neben meinem Computer macht.

Die zweite Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich nehme den Wasserkocher. Ich leere noch vorhandenes kaltes Wasser aus dem Wasserkocher. Ich fülle gerade so viel frisches Wasser hinein, wie für eine Tasse Tee nötig ist. Ich schalte den Wasserkocher an. Ich verlasse die Küche und setze mich für drei Minuten an den Computer. Ich kehre zurück in die Küche. Ich nehme eine Tasse und befülle sie zur zwei Drittel mit dem heißen Wasser aus dem Wasserkocher. Ich hänge einen Teebeutel in die Tasse. Ich verlasse die Küche und setze mich für 5 Minuten an den Computer. Nach einer Stunde kehre ich zurück in die Küche um mir eine Tasse Tee zu machen. Und frage mich, was die Tasse mit dem Teebeutel in dem kalten Wasser in der Küche macht.

Die dritte Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich nehme den Wasserkocher. Ich leere noch vorhandenes kaltes Wasser aus dem Wasserkocher. Ich fülle gerade so viel frisches Wasser hinein, wie für eine Tasse Tee nötig ist. Ich schalte den Wasserkocher an. Ich verlasse die Küche und setze mich für drei Minuten an den Computer. Ich kehre zurück in die Küche. Ich nehme eine Tasse und befülle sie zur zwei Drittel mit dem heißen Wasser aus dem Wasserkocher. Mir kommt eine Idee. Ich verlasse die Küche und setze mich für 5 Minuten an den Computer. Nach einer Stunde gehe ich in die Küche. Und frage mich, was die Tasse mit dem kalten Wasser in der Küche macht.

Die vierte Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich nehme den Wasserkocher. Ich leere noch vorhandenes kaltes Wasser aus dem Wasserkocher. Ich fülle gerade so viel frisches Wasser hinein, wie für eine Tasse Tee nötig ist. Ich schalte den Wasserkocher an. Ich verlasse die Küche und setze mich für drei Minuten an den Computer. Nach einer Stunde kehre ich zurück in die Küche. Ich ahne, warum im Wasserkocher lauwarmes Wasser ist.

Die fünfte Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich nehme den Wasserkocher. Ich leere noch vorhandenes kaltes Wasser aus dem Wasserkocher. Ich fülle gerade so viel frisches Wasser hinein, wie für eine Tasse Tee nötig ist. Ich verlasse die Küche und setze mich für drei Minuten an den Computer. Nach einer Stunde kehre zurück in die Küche. Ich erkenne, dass im Wasserkocher genau so viel kaltes Wasser ist, wie für eine Tasse Tee nötig wäre.

Die sechste Stufe der Erleuchtung

Ich gehe in die Küche. Ich betrachte den Wasserkocher. Ich erkenne, dass ich für meine Teezeremonie nicht handeln muss. Ich verlasse die Küche.