Ein Tag der Aufrechten im Fernsehen
Morgens Trittin, abends Gauck
Obwohl ich nicht viel fernsehe, gibt es Tage an denen ich mich von der Flimmerkiste wie magisch angezogen fühle und sie immer wieder für ein paar Minuten anschalte muss. Gestern wurde ich dafür mit einem Rundumschlag in Sachen Politik und der Schieflage der Nation belohnt.
Jürgen Trittin um 10 Uhr
Den Anfang machte eine flammende Rede von Jürgen Trittin zur Energiedebatte, um 10 Uhr in der Sendung „Heute im Parlament“ im ZDF. Selten habe ich eine derart erhitze Debatte gesehen. Und ich war seit langem mal wieder echt begeistert. Jürgen Trittin hat wirklich alles gegeben, obwohl ja von vorneherein klar war, dass Schwarz-Gelb das Gesetz mit ihrer Mehrheit verabschieden werden. Und ich nehme ihm seine Empörung und sein Entsetzen über das geplante Energiekonzept voll ab. Hier mal ein kleiner Auszug aus dem vorläufigen Sitzungsprotokoll des Bundestags, es spricht Jürgen Trittin:
Es ist absolut unerträglich, dass Sicherheitsanforderungen von Aufsichtsbehörden künftig daran geknüpft werden sollen, dass diese Nachrüstungsmaßnahmen zum Zwecke der bestmöglichen Vorsorge – oder auch nur der Geeignetheit – nicht mehr als 500 Millionen Euro pro AKW kosten dürfen. Wer das macht, der verdealt Sicherheit gegen Geld.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wer sagt so etwas? – Michael Kauch (FDP): Sie haben es verdealt!)
Es ist auch kein Zufall, dass dieser Deal von einem Anwalt formuliert worden ist, der häufiger für RWE als für die Bundesregierung arbeitet, der auf die Frage, wie er denn dazu komme, sagt: So ist das Business. Bei dem steht man mal auf der einen Seite, mal auf der anderen Seite. – Das ist Ihr Verständnis von Sicherheit.
Es lohnt sich das einmal in Gänze nachzulesen. Endlich ist mal wieder Stimmung im Bundestag. Und auch wenn Schwarz-Gelb ihren Stiefel durchziehen werden, so habe ich doch dank Trittins Temperament beschwingt den Tag beginnen können. Flugs noch Gripsparade aufgelegt und in voller Lautstärke mitgesungen:
„Man muss sich nur wehren, man muss sich nur wehren. Und auch mal Fragen stellen, die die anderen stören“.
Jörg van Essen um 23 Uhr
Am Abend sehe ich dann in der Sendung „Der Tag“ bei Phönix, wie der Bundestag eine aktuelle Stunde bzw. Debatte über die Ausschreitungen / Demonstrationen zu „Stuttgart 21“ ablehnt. „Natürlich“ denke ich mir „war ja klar“. In einer Pause werden dazu von Phönix kurz Bärbel Höhn (Bündnis 90 / Die Grünen) und Jörg van Essen (FDP) interviewt. Und Jörg van Essen stellt sich tatsächlich hin und bemerkt kaltlächelnd (in seiner Eigenschaft als ehemaliger Staatsanwalt, wie er betont), dass die demonstrierenden Schüler ja eigentlich in der Schule hätten sein müssen und es noch die Frage sei, ob das Demonstrationsrecht höher anzusetzen sei als die allgemeine Schulpflicht.
Mal ganz im Ernst, geht’s noch? Was soll dass denn bitte heißen? Ich wage hier gar nicht darüber zu spekulieren, was er damit eigentlich sagen will. Das ist nun wirklich aus der untersten Rhetorikschublade und greift komplett ins Leere. Gerade er als Staatsanwalt müsste doch wissen, dass Äußerungen wie „eigentlich hätte das Kind nachts um 23 Uhr doch gar nicht mehr auf der Strasse sein dürfen, als ich es mit 200 km/h überfahren habe“ nichts zur Sache tun. Und ich setze noch einen drauf: Gerade als Deutscher sollte man wissen, dass die moralische Pflicht, das eigene Gewissen und das gesunde Rechtsempfinden in jedem Fall stärker wiegen als die geltenden Gesetze. Das sollten wir aus unserer älteren und auch etwas jüngeren Geschichte ja nun wirklich mindestens zweimal gelernt haben. Also bitte: nicht leicht belustigt ablenken, sondern mal versuchen die gestörte Kommunikation wieder in den Griff zu kriegen.
Joachim Gauck zur Nachtruhe
Danach dann ein schöner, versöhnlicher Ausklang: Joachim Gauck bei „Im Dialog“ mit Michael Krons, ebenfalls auf Phönix. Und Joachim Gauck hat drei Dinge gesagt, die ich sehr bemerkenswert finde. Erstens: Das Gefühl des besseren und sozialeren menschlichen Miteinanders in der DDR, das sich gegenseitige Helfen, das nähere Miteinander, sei mitnichten dem Sozialismus zu verdanken gewesen. Vielmehr handele es sich dabei um eine Überlebensstrategie in der Diktatur. Zweitens: Der vielgehörte Satz, in der DDR habe es Vollbeschäftigung und Kindergärtenplätze für alle gegeben, erinnere doch stark an den Satz, unter Hitler sei nicht alles schlecht gewesen, immerhin habe er die Autobahnen gebaut und für Vollbeschäftigung gesorgt. Drittens: Gauck habe gelernt geduldig zu sein, und wisse, dass man die Menschen nicht zu einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte zwingen könne, bevor diese dazu bereit wären. Es gelte aber trotzdem beständig weiter darauf hinzuarbeiten.
Es tut mir leid, wenn ich das hier auch nicht annährend so eloquent wie Joachim Gauck wiedergeben kann. Aber in ein paar Tagen sollte der Videostream der Sendung bei Phönix online sein. Oder aber einfach den Phönix Podcast abonnieren und sich die Sendung jetzt ansehen. Es lohnt sich die halbe Stunde zu investieren. Und dann weiß man plötzlich wieder wie einfach es sein kann, einfach nur seinem Gewissen zu folgen.