Ich bin jetzt Querlenker

Die Korrumption der Begriffe

Ich bin jetzt Querlenker. Ich fahre sturzbetrunken Auto ohne mich anzuschnallen, mit 230 km/h über die Autobahn. Ich finde das ist mein gutes Recht. Denn schließlich weiß ich ja wohl immer noch selbst am besten, wann ich noch Auto fahren kann. Und ich bin ein ausgezeichneter Fahrer. Eine Promillegrenze von 0,5 ist völlig überzogen, ein Tempolimit wäre der Untergang der Freiheit. Also meiner persönlichem Freiheit und meinem Recht auf Selbstbestimmung. Da werden Grundrechte angetastet. Überhaupt sind die Zahlen der Verkehrstoten ja nur Statistiken, die uns alle in Langsamfahrer verwandeln sollen, die stumpf immer nur geradeaus vor sich hin zockeln. Aber da mache ich nicht mehr mit. Ich lenke quer. Ich biege rechts ab, wo und wann ich das will und nicht wenn mir das irgendein dahingestelltes Verkehrszeichen vorschreiben will. Überhaupt die Verkehrszeichen: Wer hat die eigentlich erfunden? Seit wann stehen die da in den öffentlichen Straßen herum? Ich bin gegen Fremdbestimmung. Freie Fahrt für freie Bürger.

Ihr merkt, der Freiheitsbegriff ist inzwischen komplett korrumpiert. Das, was für uns früher einmal ein Ideal war, ist inzwischen nur noch eine leere Worthülse – ein Feigenblatt für rücksichtslosen Egozentrismus der übelsten Sorte.

Und das mache ich den Querdenkern zum Vorwurf. Ich verachte diesen wirren Haufen von Irren zutiefst für die Korrumpierung all der Begriffe, die mir wichtig sind. Wie soll ich noch vernünftig für Aufklärung, Selbstbestimmung, Freiheit und gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Rassismus argumentieren, wenn alle Begriffe von den Querdenkern inzwischen vergiftet sind?

In mir keimt der Verdacht, dass es sich bei der Querdenker Bewegung um eine Weltverschwörung erzkonservativer Kräfte handelt, deren Ziel es ist, sämtliche Bürgerbewegungen und zivilen Ungehorsam ein für allemal zu diskreditieren und endgültig der Lächerlichkeit preis zu geben. Eine Armee von Meta Agents Provocateurs, die mittels Desinformationen über die Grenzen des Absurden hinaus ein gigantisches Gehirnwäscheprojekt betreiben. Und zwar nicht an den Querdenkern, sonder an der Zivilgesellschaft, die nur noch fassungslos dem Treiben zu sieht, um sich schließlich kopfschüttelnd und voller Verachtung abzuwenden. Und zwar von jeglichem bürgerlichen Engagement. Mit dem Ergebnis, das bald jede Demo, jede Kunstaktion, jede zivil-gesellschaftliche Intervention von der Mehrheit der Bevölkerung mit einem achselzuckenden „sind halt wieder irgendwelche Idioten“ abgetan werden wird.

Fridays for Future? Irgendwelche wirren Wohlstandskinder.
Demo gegen das Versammlungsgesetzt in NRW? Irgendwelche Randalierer des schwarzen Blocks.
Bahnstreik? Irgendein verrückter Vorsitzender der Gewerkschaft.
Demo gegen Rassismus? Irgendwelche Antifa Terroristen.
Statement gegen Antisemitismus? Irgend ein B-Promi der ein Buch vermarkten will.

Ich will meine Begriffe zurück. Ich will sie keimfrei und entgiftet in ihrer ursprünglichen Bedeutung zurück. Ich will sie in ihrer ganzen ursprünglichen, explosiven, emanzipatorischen Kraft zurück. Ich will sie sorgfältig entschwurbelt, abgestaubt und kernsaniert zurück. Und wenn sie mir nicht freiwillig zurückgegeben werden, dann werde ich sie mir einfach nehmen, sie den Händen ihrer Geiselnehmer entreißen, sie von ihrem Stockholmsyndrom befreien um sie dann, gestärkt und gestählt, mit voller Wucht ihren Peinigern entgegen zu schleudern. Und dann werden wir ja sehen, wer die Macht über die Begriffe hat.