Individualisten aller Länder verpisst euch

- oder vereinigt euch mal endlich

Es gibt einen einfachen Grund, warum sich an den Missständen dieser Welt so schnell nichts ändern wird. Dieser Grund sind wir. Ich setze hier einfach mal stillschweigend voraus, dass wir alle den ein oder anderen Missstand gerne verändern würden. Falls nicht, dann einfach kalt lächelnd weiterlesen und sich über unsere kollektive Dummheit freuen. Wir wollen nämlich alle lieber Recht haben, als auch nur einen klitzekleinen Kompromiss einzugehen. Wenn wir die Dinge nicht zu einhundert Prozent so verändern können wie wir das wollen, wenden wir uns mit einem trotzigen „dann eben nicht“ ab und machen woanders weiter. Hinzu kommt, dass wir super sensibel auf die Beweggründe unserer Mitstreiter reagieren, nach dem Motto „ich bin aus einem anderen Grund dagegen als Du, deshalb kann ich niemals mit Dir zusammen dagegen sein“. Wir teilen uns also lieber in kleinste Grüppchen auf und machen unser eigenes Ding, anstatt etwas aus innen heraus zu verändern, oder geschlossen (und solidarisch) Front zu machen. Dazu ein paar Beispiele.

Die ewige Opposition

Die SPD und die Linke sind ein Paradebeispiel für das „Teile und Herrsche“ Prinzip. Vor der Bundestagswahl hat die SPD eine Koalition mit der Linken kategorisch ausgeschlossen. Nach der Bundestagswahl merkt sie, dass sie sich damit um ein Druckmittel gegenüber der CDU/CSU beraubt hat. Es gibt viele Kritikpunkte an der Linken, und ob diese Partei überhaupt schon regierungsfähig ist, sei hier auch einmal dahin gestellt. Dazu müsste sie vielleicht auch mal von dem ein oder anderen Dogma abrücken und sich kompromissbereit zeigen. Und genau das ist der Punkt. Die Linke ist eine dieser Parteien, die lieber Recht haben wollen als etwas zu verändern. Ein anderes gutes Beispiel ist die Piratenpartei. Hier haben sich eine menge fähiger Leute lieber zu einer neuen Partei zusammengetan, anstatt einfach in eine der etablierten Parteien einzutreten und die Piraten-Themen dort auf die politische Agenda zu setzen. Das war diesen Menschen wahrscheinlich zu mühsam. Denn in den etablierten Partien hätten sie ganz unten anfangen und lange gegen alte verkrustete Weltbilder kämpfen müssen, um am Ende etwas zu verändern. Da gründen sie lieber eine eigene Partei, ändern rein gar nichts damit, können aber bei NSA, PRISM, TEMPORA und ACTA schön mit einem „haben wir’s nicht immer gesagt?“ auftrumpfen.

Die SPD und die Linke sind allesamt als Opposition zu CDU/CSU angetreten. Sie sind aber aus unterschiedlichen Gründen dagegen und wollten deshalb nix miteinander zu tun haben, sondern lieber jeder für sich dagegen sein. Die Grünen haben vor Jahren eine schmerzhaften Prozess durchgemacht, in der sie sich auf Kompromisse eingelassen haben, um wenigstens ein bisschen zu verändern. Das mag bisher nicht der große Wurf gewesen sein, aber immerhin haben sie einige Dinge ein wenig in Bewegung bringen können. Und in diesen Tagen der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU stelle ich mir manchmal vor, was wohl herausgekommen wäre, wenn sich Linke und SPD bewegt hätten und gemeinsam mit den Grünen die Regierung bilden würden.

Der Austritt aus der Kirche

Gegen die Kirche zu wettern, ist wie in einem Fass voller Fische zu angeln: langweilig. Das Bild hinkt allerdings ein wenig, denn in dem Fall der Kirche ist das Fass gar nicht voll, sondern wird Sonntag für Sonntag immer leerer. Scheint, als ob die Menschenfischer immer weniger fangen. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Menschen gar keine institutionalisierte Religion mehr brauchen, sondern sich lieber ihre eigene Religion basteln. Ein bisschen Humanismus, ein bisschen Esoterik, ein bisschen fernöstliche Philosophie, vielleicht etwas Mystisches noch dazu und fertig ist der „Personal Jesus“. Wem das zu wenig ist, der kann auch einfach seine eigene Kirche gründen und mit einer kleinen Gruppe dann seinen religiösen Gefühlen Raum geben. Das wird dann zwar keine Weltreligion, dafür bleiben diese Grüppchen schön unter sich und können sich die Welt erklären, wie sie wollen. Ich stelle mir immer öfter die Frage, wie das wohl ausgehen würde, wenn all diese Menschen sich nicht von der Kirche abwendeten um ihr eigenes Ding zu machen, sondern in der Kirche mächtig auf den Putz hauten. Wenn sie sich in der Kirche engagieren und quer stellten. Wenn sie immer und immer wieder Reformen forderten, sich aufgeregten und kämpften, anstatt einfach auszutreten. Wir hätten dann noch lange keine Kirche, die uns allen gefällt, aber vielleicht wäre es ja wenigstens eine Kirche in der sich alle wiederfinden und einander begegnen könnten.

Das Heer von Einzelkämpfern

Geselliges Beisammensein und Kaffeekränzchen sind out. Netzwerken und Selbstmarketing ist in. Wenn es der Sache dient, schließen wir uns auch mal gerne zu Arbeitsgruppen zusammen, aber immer nur auf ein Projekt bezogen und temporär, nach dem Motto „ich könnte Deine Skills jetzt gerade gut in meinem Projekt gebrauchen, vielleicht kannst Du ja auch mal meine bei einem Deiner Projekte gebrauchen“. Wir vermarkten uns selber, nicht als Gruppe, sondern als Einzelkämpfer. Im Zweifel hält sich der Einzelne immer noch für einen Tick schlauer als der andere. Gerade mal jemand ohne Auftrag? Tja, nicht mein Problem, ich bin bisher immer klar gekommen. Muss man sich halt früher um die Akquise kümmern. Die Arbeitsbedingungen werden auch immer prekärer. Naja, jammern nützt nix, einfach Ärmel hochkrempeln und durch. Wer will, der kann auch. Alles nur eine Frage der Disziplin. Ups, jetzt habe ich ja plötzlich keine Aufträge mehr. Wer könnte mir denn da helfen? Keiner? Komisch. Wo sind denn nun alle meine Freunde hin? Vielleicht hätte ich damals doch in die Gewerkschaft eintreten sollen. Vielleicht hätte ich mich doch mit anderen zusammen tun sollen und einfach mal streiken, als die Preise immer mehr gedrückt wurden. Vielleicht hätte ich meinen mittelmäßigen Job doch nicht einfach so kündigen und mich selbstständig machen sollen, anstatt meinen Kollegen im Arbeitskampf beizustehen. Vielleicht hätte ich doch einfach mit anderen zusammen was gründen sollen, anstatt einfach so alleine vor mich hinzuwuscheln. Vielleicht hätte ich mich auch einfach mal auf ein paar Bier mit meinen Freunden treffen sollen, anstatt nur zu Netzwerktreffen mit Gleichgesinnten zu gehen. Aber jetzt bin ich alt und arm und krank und allein. Und es ist zu spät.

Wir meint Ihr

Wenn ich hier immer „wir“ und „ich“ schreibe, dann meine ich das eigentlich gar nicht so. Das ist eher wie auf einer Mitgliederversammlung in einem Verein gemeint. Da sagen manche auch immer „wir müssten mal“ oder „wir sollten mal“. Das heißt aber eigentlich „Der Vorstand sollte mal. Nicht ich. Denn ich habe keine Zeit mich ehrenamtlich zu engagieren, die ist mir dazu zu kostbar. Ich kann nur nörgeln und fordern.“ Und genau so meine ich eigentlich auch eher „Ihr“ und „Du“, wenn ich „Wir“ und „Ich“ schreibe. Ich habe gar keine Lust mehr, immer den Finger in die Wunde zu legen. Das ist mir zu anstrengend, zumal sich ja so eh nix ändert. Ich investiere jetzt mal Zeit in meine Freunde, und zwar in diejenigen, mit denen ich garantiert nie Projektbezogen zusammen arbeiten werde. Und ich bleibe einfach mal in der Kirche. Und in ein paar Jahren trete ich in eine der etablierten Parteien ein. Fest versprochen. Ich mache jetzt einfach mein eigenes Ding. Könnt ihr ja mal sehen, was ihr davon habt.