Tanz den Heiland
Zwischen Spaßgesellschaft und Religion
Osterzeit ist Hashtagzeit. Neben der sonntäglichen Eiersuche ist es schon ab Gründonnerstag ein großer Twitterspaß, Einträge mit dem Hashtag #tanzverbot zu lesen. Und dabei, nämlich bei dem Spaß, könnte ich es auch einfach belassen. Ich tue es aber heute, an Karfreitag, ausnahmsweise mal nicht, weil mir der Streit ums Tanzverbot symptomatisch zu sein scheint, wie große Themen diskutiert werden. Nämlich gar nicht.
Hier wird wieder einmal der Stein des Anstoßes (das Tanzverbot) kurzerhand selbst in das Zentrum der Diskussion gerückt, anstatt diesen Stein als Anstoß zu nutzen um über das viel größere Thema zu diskutieren. Was hier passiert ist eine Stellvertreter Diskussion. Das Tanzverbot ist schön greifbar. Das Problem ist leicht ausgemacht, die Gegenseite hält tapfer dagegen und wir können uns herrlich streiten, aber leider nur über den Sinn und Unsinn eines Tanzverbots. Und eben nicht über das Verhältnis von Kirche und Staat in einer säkularisierten Gesellschaft.
Es ist doch eigentlich schlichtweg egal, ob an zwei Abenden im Jahr (von Gründonnerstag 18 Uhr bis Karsamstag 6 Uhr in Köln) getanzt werden darf, oder nicht. Das ist mir, als irgendwie dann doch auch gläubiger Mensch, sogar so egal, dass von mir aus das Tanzverbot auch gerne aufgehoben werden kann. Ich wage auch mal zu behaupten, dass das den meisten Christen ziemlich schnuppe sein dürfte. Zumal das Tanzen für gewöhnlich ja eh an Orten und Zeiten stattfindet, die der Ausübung der Religion nicht weiter im Wege stehen dürften.
Was aber nicht egal ist, ist die Frage wie viel Religion wir im Alltag zulassen wollen. Oder aus der Sicht eines Christen gefragt: Wie viel Religion brauchen wir im Alltag? Ich verstehe Religion als ein Angebot, das die Menschen wahr nehmen können, oder eben auch nicht. Religion wird mir immer dann suspekt, wenn sie missioniert und reglementiert oder ganz allgemein in die Freiheiten der Menschen eingreift. Vor diesem Hintergrund also: Weg mit dem Tanzverbot.
Was bei mir aber bleibt, ist die Sorge, dass wir uns immer mehr zu einer primär an Leistung und Zerstreuung orientierten Gesellschaft entwickeln, in der unsere Menschlichkeit (um nicht zu schreiben unsere christlichen Werte) immer mehr auf der Strecke bleiben. Und dabei möchte ich ganz deutlich unterscheiden zwischen der Institution Kirche, an der ich so viele Kritikpunkte haben, dass ich selber fast ausgetreten wäre, wenn mir nicht Papst Benedikt mit seinem Rücktritt letztes Jahr zuvorgekommen wäre, und dem Glauben / der Spiritualität als solches, die durchaus im Leben eines Menschen eine tragende Rolle auch ohne die Institution Kirche spielen können.
Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn wir die Religion komplett aus unserem Alltag verbannen würden. Wenn wir nicht mehr Ostern, Pfingsten, St. Martin und Weihnachten feiern würden, um nur ein paar Beispiele aus dem christlichen Bereich zu nennen. Wenn es nur noch Jugendweihe, Fackelumzüge, Frühlingsanfang-, und Wintersonnenwende-Feste gäbe? Um es mal polemisch in diese Ecke zu stellen. Oder wenn es nur noch Springbreak, Sommerschlussverkauf, Helloween und Silvester gäbe? Um es mal komplett durchkommerzialisiert darzustellen, nicht dass es nicht längst schon so wäre.
Mir würden diese Momente der Besinnung auf für mich elementare Werte jenseits von Spaß und Profitoptimierung fehlen. Ich finde den Gedanken, dass Menschen bereit sind, für ihre Ideale zu sterben, nach wie vor ermutigend. Ich finde das Konzept des Teilens und Schenkens, das Commoning, als Gegenpol zu unserem Hochleistungskapitalismus ungeheuer spannend. Die Feiertage helfen mir dabei, mir diese Ideen zu vergegenwärtigen und in mir lebendig zu halten. Und um es ganz deutlich zu sagen: Ich verstehe mich zwar als Christ, aber von mir aus könnten wir auch ruhig ein paar muslimische und jüdische Feiertage einführen und dafür ein paar christliche Feiertage abschaffen. Um die konfessionelle Ausrichtung geht es hierbei gar nicht. Es geht nur darum, sich hin und wieder auf seine Ideale zu besinnen und sich darüber klar zu werden, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Und es geht eben nicht darum, an ein paar Feiertagen etwas auszuspannen und sich zu zerstreuen, um seine Arbeitskraft möglichst lange und gut zu erhalten.
Für welche Ideale die Gegner des Tanzverbots wohl einstehen?