Wir sind nur Rufer in der Wüste

Selbstbezug - Selbstbetrug

Der erschrekende #Neuland Fauxpass von Agela Merkel hat es eigentlich überdeutlich gezeigt. Wir, die „Netzgemeinde“, begehen einen großen Denkfehler. Wir denken nämlich, wenn wir nur genug bloggen, twittern und ePetitionen unterzeichnen, dann wird die ganze Welt aufmerksam auf das, was wir an besorgniserregenden Entwicklung um uns ausmachen. Wir denken, die Fakten sprächen für sich und alle Menschen seien in der Lage daraus die gleichen Schlüsse zu ziehen. Dabei sind wir nichts anderes als Rufer in der Wüste. Wir schreiben für unsere eigene Filterblase und vergessen dabei die schweigende Mehrheit, die zwar schweigt, aber immerhin die Mehrheit ist und kaum mehr als die Hälfte von dem versteht, was wir schreiben.

Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, dann sollten wir unser schönes Internetghetto verlassen und wieder anfangen mit Menschen zu reden (dieses prä-digitale-Bewegen-der-Lippen-um-Laute-zu-erzeugen) und mit ihnen in einen Diskurs treten. Dabei müssen wir höllisch aufpassen, denn ganz schnell werden wir in die Schublade der „Netzaktivisten“ gesteckt und dann prallen unsere besten Argumente einfach ab. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, sei es beim Kindergartenfest, auf dem Spielplatz, in der Eckkneipe oder auch in der Doppelkopfrunde mit Vätern, die ich erst vor kurzem kennen gelernt habe. Meist ist die vorherrschende Haltung „meine Meinung steht fest, jetzt verwirre mich nicht mit Tatsachen“.

Begriffe wie #PRISM, #VDA oder #BDA spielen für diese Menschen keine Rolle. Für sie sind die Betreuung ihrer Kinder, die Hypothek für ihr Haus, die neuste Serie auf DVD, Fussball, Musik und das nächste Bier interessantere Themen. Diese Menschen benutzen das Internet um hin und wieder eine eMail zu schreiben, günstig bei Versandhändlern zu bestellen, ihren nächsten Urlaub zu buchen und wahlweise die neuste Wettervorhersage oder Sportmeldung zu bekommen. Vielleicht nutzen sie auch ein wenig Youtube oder Facebook, aber damit gehören sie schon zu den Experten in diesen Kreisen. Freie Meinungsäußerungen in eigenen Blogs spielt für den Großteil der „normalen“ Netzbenutzer keine Rolle.

Und ich kann ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Ihnen ist die eigene, reale Welt wichtiger als die virtuelle Welt des Netzes. Der Netzgemeinde aber, so scheint es, ist die virtuelle Welt des Netzes tausendmal wichtiger, als die real existierende Welt der Reihenhausbesitzer.  Und die Netzgemeinde macht keinen Hehl daraus, dass sie diese Normalos verachtet und für zurückgeblieben hält. Blöd nur, dass diese Normalos in der Mehrheit sind und mit zunehmenden Befremden auf „unser“ Netz schauen und „uns“ nun erklären wollen, welche Regeln dort gelten sollen.

Wir sollten also heruntersteigen von unserem hohen Roß, aufhören ständig besserwisserisch daher zu reden, keine „hab ich Euch ja gesagt“ Statements von uns geben, nicht versuchen mit missionarischem Eifer und glorreichen Heilsversprechungen die Menschen zu einem freien, anonymen Netz zu bekehren und auch nicht mit einer Flut von Fakten und Hintergrundinformationen in eine Diskussionsrunde einsteigen, um schon nach den ersten zwei Sätzen ein unverständliches Kopfschütteln zu ernten, oder direkt als Verschwörungsparanoiker abgestempelt zu werden.

Das bedeutet nicht, dass wir nun nicht mehr bloggen sollten. Der eigene Blog ist wichtiger denn je. Freie, eigene Meinungen können nur in eigenen Blogs vertreten werden. Und allmählich gewinnen einige Blogs sogar ähnlichen Einfluss wie manche Tageszeitung und etablieren eine Metaebene in der wir lernen die täglichen Nachrichten zu hinterfragen und uns unsere eigene Meinung zu bilden. Das ist manchmal ganz schön kompliziert, aber hey, wenn es einfach ist, dann ist es meistens auch falsch. Also weiter so, lasst uns bloggen, alles hinterfragen, Gegendarstellungen verfassen und einfach alles raus hauen.

Aber wenn wir im echten Leben (oder in den Kommentaren) auf Menschen treffen, die nicht zu „unserer Netzgemeinde“ gehören, dann sollten wir aufhören zu dozieren (oder uns zu belustigen) und endlich anfangen uns mit diesen Menschen zu unterhalten. Das geht erstaunlicherweise um so besser, je mehr wir dabei zuhören.

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